Passend zu diesem Artikel gibt es auch einen Vortrag von den Werkstatt-Tagen 2012, der hier als Video festgehalten wurde:
Slow food Sommerfest 1999
Die Werkstatt-Tage 2012 vom 22. bis 24. Juni stehen unter dem Motto:
"Heißt 'slow' einfach Lebensqualität?"
Diese Frage könnte den ein oder anderen Leser wundern, vor allem, wenn er in der Hersbrucker Zeitung las, dass ich angeblich "slow" mit "langsam" übersetzt hätte, was ich erstens nie tun würde und was auch im Original von Wolfgang Plattmeier nur ein Zitat sein sollte, aber das macht ja nix, jeder Bericht ist wichtig und das Thema ist nun mal nicht leicht.
Trotzdem müssen wir diesem Imageproblem ins Auge sehen, also versuche ich hier und jetzt, die Entstehung von Slow Food in Italien und in Nürnberg und die Entwicklung der Slow Cities in Italien und Hersbruck aus unserer Sicht Revue passieren zu lassen, wobei ich mich über jeden ergänzenden, korrigierenden oder widersprechenden Kommentar freue.
So fings 1986 an mit Slow Food Italien und Nürnberg
Man kann es überall nachlesen, 1986 gab es auf der spanischen Treppe in Rom ein Spaghetti-Protestessen gegen das erste Mc Donald´s, woraus 1989 die Slow Food Bewegung entstand. Im Jahr 1997 (als wir nach 9 Jahren in Hersbruck in Unterkrumbach bauten) hatten sie schon 60 000 Mitglieder in 35 Ländern, heute rund 100 000 in 150 Ländern.
Der Tag der Region 1998 in unserer Werkstatt
In diesem Jahr gründete in unserem Beisein meine Schulfreundin und Deutsch-Italienerin Manuela Sillius das Slow Food Convivium Nürnberg, welches sich am ersten Tag der Regionen in Unterkrumbach 1998 dank hoher Mitgliederzahlen bereits als "Hochburg im Genuß" darstellen konnte. Jetzt klingt der Begriff "Convivium" schon um einiges schicker als "Ortsgruppe" und obwohl damals Slow Food international noch die "Wahrung des Rechts auf Genuß" einforderte, gingen wir Nürnberger nicht zuletzt durch den frühen Kontakt zum Naturschutzzentrum Wengleinpark mit mehr Lehr-, denn reinen Genußveranstaltungen schon eher in die heutige philosophische Richtung, die sich mit den Schlagwörtern "gut-sauber-fair" sehr kurz und aussagekräftig beschreiben lässt.
Das Convivium schlief ein, als Manuela nach Italien ging, erst 2003 erweckte es Rudi Müller wieder zu neuem Leben und führte es einige Jahre sehr erfolgreich, bis seine Krankheit ihn zur Abgabe der Conviviumsleitung zwang, die Gerhard Tremel dankenswerterweise übernahm und dem Convivium einen Mitgliederzuwachs bescherte. Rudi Müller ist leider wenig später verstorben.
Rudi Müller rechts, Daniel Grabbe links auf der grünen Lust in Anwanden
Am 3. September 2011 übernahm Claus Fesel die Leitung des Conviviums, mit dem wir jetzt gemeinsam das schon im Jahr 1999 und 2003 abgehaltene Sommerfest wieder auferstehen lassen, diesmal zusammen mit der Cittaslow Hersbruck.
Die Entstehung der Slow Cities in Italien
Es waren fünf italienische Bürgermeister, die 1999 von der Slow Food Idee begeistert waren, dieselbe aber auf die ganze Stadt in all ihren Facetten übertragen wollten. Als intellektuelle Basis diente dazu die lokale Agenda 21 der Vereinten Nationen, was mir persönlich sehr wichtig ist. Die Vereinigung der lebenswerten Städte ist eben nicht einfach eine Weiterentwicklung der Slow Food Idee. Sie ist eine Verpflichtung zur nachhaltigen Entwicklung, wie sie die Brundtlandkommission 1987 formuliert hat. Die Grundidee dazu lieferte bekanntlich vor genau 299 Jahren die Forstwirtschaft und sie hat sich zum Leitfaden für viele verantwortungsvoll agierende Kommunen und Betriebe entwickelt, in denen unzählige Agendagruppen und Projekte entstanden.
So wurde Hersbruck zur Cittaslow
Seinerzeit, genau am 25.Mai 2000 feierte Dr. Jörg Hahn von Original Regional seine hundertste Talkshow "Starke Köpfe" (nicht Töpfe!) und lud dazu alle ehemaligen Gäste ein, unter denen sich auch Manu Sillius und ich befanden. Seine an unserem Stehtisch beim Smalltalk eingeworfene Frage, welche Stadt sich als erste Slow City außerhalb Italiens eignen würde (so war damals die offizielle Bezeichnung der heutigen Cittaslows) brachte ich sofort Hersbruck ins Gespräch, weil durch die Vorarbeit von Rainer Wölfel vom Naturschutzzentrum Wengleinpark in Sachen Regionalentwicklung schon viel erreicht war und sich auch der erste Tag der Regionen 1988 in Unterkrumbach zum Meilenstein der Regionalbewegung entwickelte.
rechts nach links: Wolfgang Plattmeier, Manuela Sillius, herwig, Rainer Wöfel, Johannes Michel in der Fuchsau
Also weihten wir Rainer Wölfel und Hersbrucks Bürgermeister Wolfgang Plattmeier in die Idee ein, und "Platti", wie er liebevoll genannt wurde, war raffiniert genug, die Bewerbung erstmal geschehen zu lassen, ohne sie mit allen Bewohnern persönlich zu diskutieren. Denn einerseits zweifelte er, ob sie überhaupt Erfolg haben würde und andererseits befürchtete er, dass eine Erklärung von "Langsamkeit" und "Entschleunigung" uns Anfänger wohl überfordert und die Idee gefährdet hätte. Gottseidank war und ist er aber selbst ein Genussmensch und so konnten wir zusammen mit dem damaligen Regionalmanager Johannes Michel eine sogar uns selbst beeindruckende Bewerbung losschicken. Denn was wir am Anfang noch für eine lustige Idee hielten, entpuppte sich beim Sammeln aller Zeitungsartikel, Plakate und Belege zu einer schlüssigen Dokumentation des bereits geleisteten aber auch über das noch Erreichbare. In unseren Augen erfüllte Hersbruck alle Kriterien und bei manchen Themen (wie zum Beispiel Abfall), war sie den Italieners sogar meilenweit voraus.
Also besuchten jene Bürgermeister uns dank der Hartnäckigkeit und des Charmes von Manuela am 18. Mai 2001 bei der Gewerbeschau auf dem Plärrer in Hersbruck und kochten gemeinsam in unserer Küche (die immernoch im regionalen Musterhaus im Einsatz ist) und zogen abends in den grünen Baum Kühnhofen, wo Hersbruck die Auszeichnung zuteil wurde. Die Bürgermeister verstanden sich untereinander so gut, dass Wolfgang Plattmeier daraufhin für viele Jahre die Cittaslowgeschicke Deutschlands leitete.
Warum gab es keine Bürgerbeteiligung beim Beitritt zur internationalen Vereinigung der lebenswerten Städte?
Es taucht heute immer wieder die durchaus berechtigte Frage auf, warum Hersbruck ohne Bürgerbeteiligung zur Cittaslow geworden ist. Das erklärt sich einerseits von selbst aus der gerade beschriebenen seltsamen Entstehungsgeschichte (und weil sich Vorschläge zur Bürgerbeteiligung im Jahr 2001 noch nicht durchsetzen konnten), andererseits hat der Stadtrat der Annahme der Auszeichnung (und Verpflichtung!) dann doch weitsichtig zugestimmt. Heute würde man solche Prozesse sicher anders organisieren, aber seit dem 10 jährigen Jubiläum im Jahr 2011 steht es jedem Menschen frei, sich an der Entwicklung der Cittaslow im Rahmen der Workshops der zweiten Bürgermeisterin Brigitta Stöber zu beteiligen. Und weil wir grade bei Kritikpunkten sind: Wer glaubt, dass die erste nichtitalienische Slow City auch nur den Funken einer Chance gehabt hätte, den Namen von genau der Vereinigung zu ändern, in die sie grade aufgenommen wurde, der ...... irrt. Das "slow" gehört zur Idee einfach dazu, nicht zuletzt weil laut Satzung immer ein Vertreter von Slow Food im höchsten Organ sitzen wird. Da können alle Hersbrucker gleichzeitig den Michelsberg fürs Guinnesbuch im Purzelbaum runterrollen, das wird die internationale Vereinigung der lebenswerten Städte (mit Recht) nicht umstimmen - zumal ja erstmal ein vernünftiger Alternativvorschlag gemacht werden müsste. Die wichtigere Aufgabe besteht vielmehr darin, die "Slow-Skeptiker"dafür zu gewinnen, dass Slow eben AUCH Lebensqualität heißt, weshalb die Werkstatt-Tage 2012 just diesem Motto frönen.
Wie geht es weiter bei...
... Slow Food
Slow Food hatte bisher eine eher hierarchische Struktur, seit dem Führungswechsel 2011 leiten Claus Fesel und Peter Schubert eine ziemlich coole Gang, die via Web 2.0 vernetzt ist und bei der sich jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten einbringen kann. Kennenlernen kann man sie nicht nur am 22. Juni in Unterkrumbach und bei allen anderen Veranstaltungen, die auf der Website angekündigt werden, sondern auch im Slow Food Nürnberg Blog, in dem von allen Veranstaltungen und Vorhaben berichtet wird und das beweist, dass Slow Food im 340 Mitglieder zählenden Convivium Nürnberg keine elitäre SchickiMicki-Truppe ist, sondern ein Zusammenschluss von wissbegierigen und verantwortungsbewussten Menschen jeden Alters. In ganz Deutschland sind es übrigens 11 000 Mitglieder in 79 Convivien.
... Cittaslow
Für die Cittaslow Hersbruck nahm sich der neue Bürgermeister Robert Ilg den 10. Geburtstag 2011 zum Anlass, die Ideen weiter in die Bevölkerung zu tragen, was zunächst beim Kochen auf der Gewerbeschau und durch eine Ergänzung des Bürgerfestes um Interviews zur Cittaslow geschah, seither aber von regelmäßigen Arbeitskreisen verwirklicht wird, die die 2 Bürgermeisterin Brigitta Stöber moderiert. Parallel dazu haben zwei Bürgerreisen nach Italien das Slow-Bewußtsein gestärkt. Nachlesen kann man das sowohl im Nachhaltigkeitsblog unter der Kategorie Slowfood und Cittaslow, als auch in einem eigens angelegten Wiki, das aber noch ein paar kompetente Mitstreiter brauchen könnte.
Fazit
Beide Vereinigungen sind der Nachhaltigkeit verpflichtet, Cittalsow über die Agenda 21 und Slow Food über das "gut-sauber-fair" Prinzip. Beide Vereinigungen sind auf die Mitarbeit alle Mitglieder oder Mitbewohner angewiesen und beide Vereinigungen müssen deshalb nach innen und nach außen Überzeugungsarbeit leisten. Was liegt also näher, als auf Organisations- und auf Veranstaltungsebene die Gemeinsamkeiten zu pflegen und wo es Sinn macht auch zusammenzuarbeiten. Wir würden uns freuen, wenn die Unterkrumbacher Werkstatt-Tage dazu einen Beitrag leisten könnten.
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Blitzlinks zu den Werkstatt-Tagen 2012
Freitag 22.Juni 12 (Slow Food trifft Cittaslow)
Samstag 23. Juni 12 (Tag der offenen Tür und Werkstatt-Gespräch)
Sonntag 24. Juni 12 (Tag der offenen Tür und Abschlusskonzert)
Sonderaktionen mit Polstermöbeln, Matratzen, Tischen und Schneidbrettern
Hier bitte anmelden.
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Und noch einige weiterführende Links zur Cittaslow zum Einlesen und -hören:
Der Radiobeitrag vom Oktober 2011:
CittaslowBR27_10_2011
Im Mai 2001 wurde Hersbruck als erste deutsche Stadt Mitglied in der "Vereinigung Lebenswerter Städte". Seither darf sich Hersbruck "Slow City" oder "Citta Slow" nennen. Das Prinzip Slow City erstreckt sich nicht nur auf bewusste und nachhaltige Esskultur, sondern auch auf ein lebensfreundliches, regionaltypisches Lebensumfeld. Das beinhaltet den öffentlichen Nahverkehr ebenso wie den Umgang mit Energie und die Pflege der regionalen Kulturszene. Christina Claus hat fürs Notizbuch die erste "Citta Slow" Deutschlands, um "Nah dran" zu erfahren, was sich in Hersbruck seit 2001 verändert hat.
Dieser kostenlose Download ist eine Audio-Datei aus der Serie des Podcast-Angebotes Notizbuch - Nah dran - Bayern 2.
Zur Geschichte von Slow Food Nürnberg und der Slow City (Cittaslow) Hersbruck. Eine Fotogalerie aus dem Jahr 2007 hab ich auch noch gefunden.
Zum 10-jährigen Jubiläum der Cittaslow Hersbruck
Beim Kuchenbacken die lebenswerte Stadt preisen (Gewerbeschau 2011 in der HZ)
Rückblick auf die Gewerbeschau 2011
Einladung zum 10-jährigen
Thomas Geiger über die Cittaslow Partnerstadt San Daniele
Artikel in der brandeins über die Cittaslow Hersbruck
Die TAZ schreibt über die Cittaslow Hersbruck
Von Fast Food zur Cittaslow (von Anselm Stieber)
Deutschlandfunk über Cittaslow Hersbruck
Artikel zur Lesung mit Chrisitan Schüle am Freitag, 17.8.07 von Gerda Münzenberg
Artikel zur "Deutschlandvermessung" mit Christian Schüle von Gerda Münzenberg
"Cittaslow was ist das?" von Alice Niklaus
Cittaslow-Geburtstag auf der Hersbrucker Gewerbeschau
Ärger mit der Bildzeitung über Cittaslow
Koreaner zu Gast in der Cittaslow Hersbruck
Gewerbeschau 2009 in der Cittalsow
Interessanter Radiobeitrag vom SWR zur Cittalsow international
Bayern 2 über Cittaslow Hersbruck
Bildband zur Cittaslow von Thomas Geiger und Michael Scholz
Der Eiertanz des Messias ('Die Taz über Carlo Petrini und seine Probleme mit dem elitären an Slow Food)
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