Erstmal war
ich skeptisch. Was hat ein Möbelmacher ausgerechnet in der Deutschlandzentrale
von Ikea verloren? Aber ich kenne und schätze Professor Schaltegger, den Schweizer von der Uni Lüneburg seit dem
Win-Kongress und seine engagierte Mitarbeiterin Claudia Kalisch machte
unmissverständlich und psychologisch geschickt klar, dass ich als
Nachhaltigkeitsfuzzi unverzichtbar wäre.
Die Aufgabe
Mit dieser
ehrenvollen Aufgabe wurde unsere 5-köpfige Jury betraut:
wir bewerten
und benoten die Abschluss-Präsentation von 5 Studenten-Fünfergruppen, die
während eines einwöchigen Workshops bei Ikea ein Konzept für deren
Nachhaltigkeits - Kommunikation erarbeitet haben. 25 Teilnehmer, 30 bis 55 Jahre
alt, nahmen im Rahmen ihres MBA Sustainability Management Aufbaustudiengangs
daran teil. Voraussetzung für die Teilnahme an diesem ersten Master of Business Administration Sustainability Management ist ein
abgeschlossenes Hochschulstudium, zwei Jahre Berufserfahrung und
Englischkenntnisse.
Am Abend
vorher trafen wir uns gottseidank noch auf ein Vorbereitungsessen (beim kleinen
Italiener gab´s Köstliches, die Orientierung auf kulinarische Besonderheiten
aus der Region darf man von einem weltweit operierenden Unternehmen wohl nicht
erwarten). Denn dort erfuhren wir, dass diese armen Menschen eine ganze Woche
rund um die Uhr arbeiteten (die Ikea Nachtbesetzung machte Überstunden ohne
Ende, weil die Studenten die angenehmen Räume in der Ikea-Verwaltung den
Hotelzimmern vorzogen und auch ich selbst genoss, dass um 23:30 die Schranke des Ikea Parkplatzes für mich persönlich geöffnet wurde) und so ganz nebenbei auch noch mit Zusatzaufgaben überrascht
wurden („Jetzt noch pro Arbeitsgruppe einen Artikel für die Mitarbeiterzeitung
schreiben“).
Die
menschlichen Überreste dieser Tage (dafür sahen die eigentlich ganz gut aus, nur
bei manchen lagen die Nerven blank) erwarteten wir dann am Freitag morgen.
Die Jury
In der Jury
saß von der schwedischen Ikea-Zentrale Nicole
Schneider (Environment Manager Retail), deren fachliches Urteil für uns
wichtig war,
nur beratend
als Stimme aus dem Off, weil schon eine Woche involviert, Mareke Wieben, die den gleichen Posten in Deutschland abdeckt (bei
den beiden Damen werden Ikea-Berührungsängste nicht nur aufgrund derer
fachlichen Kompetenz deutlich kleiner),
Martin Oldeland ist Mitglied des Vorstands von
B.A.U.M. (Bundesdeutscher Arbeitskreis für Umweltbewusstes Management), und
kennt deshalb das Nachhaltigkeitsmanagement von unzähligen Unternehmen (www.baumev.de)
Ralf Schmidt-Pleschka kommt aus der echten Öko-Szene,
ist heute einer der kompetentesten Verbraucherschützer Deutschlands (www.verbraucher.org)
Michale Kleene kommt von der anderen Seite als
Pressesprecher des Fachverbands Kartonverpackungen für flüssige Nahrungsmittel
(Tetrapack) und ist deshalb schwierige Diskussionen gewöhnt. Von den Studenten
bekam er respekt- und liebevoll den Spitznamen „scharfer Hund“ (Dass Frau
Schneider ihn nicht jovial „Der Kleene“ nannte, habe ich erst beim dritten Hinhören
begriffen, sie sagte nämlich „Herr Kleene“)
herwig Danzer als einzige echte Ikea-Konkurrenz, Möbelmacher und Umweltbotschafter hauptsächlich zu Spionagezwecken anwesend und über einige
geschickt eingefädelte Nachhaltigkeits- und Handwerkspreise unauffällig
eingeschleust
Krankheitsbedingt
hatte man noch einen Ikea-Öffentlichkeitsarbeitsspezialisten unsanft aus dem
Bett geholt, aber wie alle Ikea-Leute von der Chefin, über den Hausmeister bis
zum Personal im Mitarbeiterrestaurant haben wir nur angenehme Menschen
kennengelernt (vielleicht waren die anderen ja in einem anderen
Hochsicherheitstrakt weggesperrt).
Wie oben schon
erwähnt eignete sich Professor Schaltegger in der arbeitsreichen Woche den
Titel eines "Reintreibers" an („40-Seiten Abschlussarbeit bis Freitag? Das
geht überhaupt nicht!“), aber didaktisch ging es ja um die realistische Darstellung
des Berufsalltags. Ich kann meinen Kunden am Samstag auch nicht erklären, dass
ich den Entwurf des Wohnzimmers nicht fertig habe, weil ich am Freitag bei Ikea
war.
Die Vorträge
Es war nicht
leicht mit einer Jury, die nach den Mängeln sucht. Die einen waren uns zu
theoretisch mit zu wenig Beispielen, die anderen haben sooo weit reduziert, so
dass wir nur durch Nachfragen erfahren haben, dass sie sich genauso tief und
sorgfältig in den Stoff eingegraben haben, wie die Kommilitonen. Manchmal war der
Vortragsstil zu stark abgelesen, manchmal zu spontan und zu wenig
ausformuliert, die Charts waren mal zu voll und mal zu leer. Bei der Bewertung
einigten wir uns auf die Rolle der Vorstandsetage, die entscheiden, ob sie
diese Berater engagieren würden oder lieber nach anderen suchen. Insgesamt war
das fachliche und das Präsentationsniveau aber so hoch, dass wir nur zwischen
1,0 und 3,0 bewerteten mussten. Irgendwann in einem Leben merkt man, dass sogar ein Lehramtsstudium Sinn machen kann und wenn es nur beim Notenverteilen ist.
Ideen
Erstens kann
ich und zweitens darf ich hier natürlich nicht alles wiedergeben, aber einige
Dinge fanden wir nicht nur in Zusammenhang mit unserem eigenen Konzept
interessant (dass ich dass in der Gruppenbewertung als „nervig“ bezeichnet
hatte, war statt des geplanten Gags wohl ein kleiner Schock für die Gruppe,
aber wer eine Einskommanull einfährt, muss auch das verkraften ...).
Interessant
(oder eben nervig) waren vor allem die vielen Parallelen zwischen der
vorgeschlagenen Nachhaltigkeitskommunikation von David Möbelmacher und Goliath
Ikea: Das vorgeschlagenen „ökologische Musterhaus“, das Ikea in Augsburg
eröffnen wird, heißt bei uns "regionales Musterhaus" und wurde 2002 bezogen,
der Erlebnispfad „Vom Baum zu Billy“ heißt bei uns "Vom Baum zu Tisch" und
existiert seit Jahren als Messeausstellung und im Internet, als
Kommunikationswege wurde ein deutscher Nachhaltigkeitsbericht abgelehnt und
stattdessen redaktionelle aufbereitete Themen in Print- und Internetorganen
vorgeschlagen, bei uns heißt das Info-Kalender oder Jahrbuch wovon gerade ist
die Jubiläumsnummer 10 erschienen ist. Aber die Idee zum Slogan „Ikea spricht
nachhaltig“ hatten wir noch nicht, und dass der Ikeaelch Knut (unser Wappentier
ist die Ratte) jetzt Bäume pflanzt, statt sie zu fällen ist auch eine lustige
Idee. Absolut genial: die berühmte Drei-Säulen-Theorie der Nachhaltigkeit (kann
von uns schon keiner mehr sehen, aber der gemeine Mitteleuropäer kennt sie halt
noch nicht: Ökologie, Ökonomie und Soziales) anhand der drei Beine des Ikea
Tisches zu visualisieren. Die Top Down und Bottom up Diskussion bei der
Nachhaltigkeitskommunikation (die Bosse bringen die Information bis hin zu den
Reinigungsleuten = Top Down – oder man beginnt bei den Reinigungsleuten, die
die Forderung bis zur Unternehmensspitze weitertragen = Bottom up) ist so alt
wie das Naturschutzzentrum Wengleinpark , das dabei immer letzteres
favorisierte. Auch das Ergebnis ist korrekt: beides muss gemacht werden, um das
Bewusstsein für Nachhaltigkeit voranzutreiben.
Was lernen wir daraus?
Über viele
Dinge kann man bei Ikea trefflich streiten, natürlich sind sie durch „immer
billiger“ Kampagnen nicht am Slogan, aber für die Probleme einer „Geiz ist geil
Gesellschaft“ mitverantwortlich und der Gewinner aus einem unrühmlichen Plagiatstreit, Nils Holger Moormann" ist uns auch weiterhin näher, als sein in diesem Fall humorloser Gegner Ikea (Artikel in der Brand eins) .Trotzdem muss ich durch den ungewöhnlich
tiefen Einblick in die Firmenphilosophie und vor allem das verwirklichte Leben
derselben zugeben, dass Ikea sein löbliches Engagement in Richtung
Nachhaltigkeit bisher nur wenig kommuniziert hat. Das Verbesserungspotential
bei einem Global Player ist genauso wie die Auswirkung dieser Verbesserungen
auf die Erde ungleich höher als in der Dorfschreinerei und sollten die eigenen
Ideen und vielleicht ein paar der Studenten umgesetzt werden, kann diese
Werbung auch für unsere Arbeit durchaus hilfreich sein, so wie vor 15 Jahren
Team 7 mit seiner Werbung für Massivholzmöbel auch unserer Firma und dem Umweltbewusstsein geholfen hat.
Trotzdem
müssen wir sehen, dass wir unsere Nachhaltigkeits-Argumentation als
Kaufargument auf Dauer wohl abgeben werden müssen. Das ist nicht weiter
schlimm, denn um so mehr kommen unsere Kriterien wie Individualität,
Regionalität und Qualität wieder in den Focus, die laut unseren
Kundenbefragungen die wichtigsten sind.
Schöne Gesten
Die (erst als alles vorbei war) dankbaren Studenten schenkten dem Uni-Team einen Relax Stuhl von Ikea
mit besticktem Kissen, den sie aber in der gleichen Zeit wieder zusammenbauen
und im Karton verpacken mussten, wie die Leidgeprüften für Ihren Vortrag Zeit
hatten: 12 Minuten. Geschafft, aber mit deutlichen Mängeln im
Kommunikationsmanagement.
Als Ausgleich
für die CO²-Belastung, die die Anreise durch die Jury verursachte, bekamen
dieselben eine Urkunde „Wachsender Dank,“ die die Pflanzung einer Stileiche im
Ketelwald an der deutsch-höllandischen Grenze im Frühjahr 2006 garantiert und
ein Handtuch zum Abwischen des Schweißes und eine zusammengesteckt platzsparend zu transportierende Plastik-Gießkanne, mit dem wir den
Nachhaltigkeitsvirus verbreiten sollen.
Fazit
Was zunächst als ein weiterer Tag der nicht unüblichen Nachhaltigkeits - Diskussions - Zeitverschwendung verdächtigt wurde, hat sich als echte Bereicherung herausgestellt. Die
Ikea Deutschlandzentrale in Frankfurt, vor allem Mareke Wieben und Nicole
Schneider haben viele meiner Vorurteile beseitigt und es hat sich gezeigt, dass
das Denken bei großen und kleinen Betrieben nicht soo weit auseinander liegen
muss. Die gesamte Arbeits-Atmosphäre zwischen Professor Schaltegger, seinem Team
und den Studenten war so zielgerichtet, intensiv und erfolgreich, dass ich
glatt Lust auf diesen Studiengang bekommen habe. Aber andererseits ist die
Möbelmacherzentrale mit betreutem Wohnen in Unterkrumbach auch ein attraktiver
Arbeitsplatz und die angenehme Zusammenarbeit mit unseren Kunden und
Mitarbeitern möchte ich dann doch nicht gegen die mit einem „Reintreiber“
tauschen. Odr? (wie schreibt man das schweizerische "oder" eigentlich?) Deshalb „Danke“ an die Uni Lüneburg und Ikea und besucht uns doch mal
im schönen Sittenbachtal, ihr seid jederzeit (auch zum Kommentieren in diesem Weblog)
eingeladen.
Die Fotogalerie mit allen Fotos, unsortiert, unzensiert und noch nicht farbkorrigiert.
Die Nachhaltigkeitsseite der Möbelmacher
Nachtrag:
Um was ich Ikea aber wirklich beneide, ist der absolut geniale Webauftritt auf der schwedischen homepage ikea.com (klick auf drömkök, was immer das heißen mag, oder hier). Haben Sie ein wenig Geduld (ladden heißt laden), dann können Sie mit der Maus das Bild um 180 Grad drehen und dann zum nächsten drehend wechseln, absolut irre..
Wenn Sie interessiert, wie sowas gemacht wird, hier ist die Erklärung: ganz ganz viel Kameras werden von einem Computer gesteuert. Der Fotograf zeigt es hier.
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