Die aufmerksamen und engagierten Redakteurinnen kamen zu zweit: Kerstin Ewald und Diana Engel, die eine für den Deutschlandfunk, die andere Deutschlandfunk Kultur. Wir absolvierten gemeinsam den üblichen Interviewmarathon. Zwischen Gastronomen, Direktvermarktern, Streuobstspezialisten und dem grünen Zentrum, wo aber keiner da war, erst am Parkplatz traf Marc vom Maschinenring ein. Peter Bauer im Cafe, Hans-Peter Eberhard direkt auf der Baustelle. Am Hutanger scheiterte der lustige Versuch die Kuh zum Muhen zu überreden, dafür gab es wenigstens die Kaugeräusche.
Am 14.12.07 erschien der Beitrag von Diana, den von Kerstin hat Nina hier schon veröffentlicht.
Der Beitrag setzt sich durchaus kritisch mit den Segnungen von Slow City auseinander und sollte zum Nachdenken anregen, welche Art der Kommunikation auf Dauer geeignet ist, Slow City auch in die Köpfe der Eingeborenen zu bringen. Diesen Nachholbedarf haben die Autorinnen klar erkannt. Schön, wenn bei der investierten Zeit auch sorgfältig gemachte Beiträge rauskommen, das ist nicht immer so.
Hier der Text von Diana Engel das Ganze kann man auch beim Deutschlandradio-Kultur anhören oder direkt hier: drk_20071214_1307_93cd2fa5.mp3 herunterladen
Im Schneckentempo
Die Idee der Slow City
Von Diana Engel
Die
Slow-City-Bewegung möchte durch Aufwertung regionaler Produkte und
Hervohebung individueller Stärken dem urbanen Einheitsbrei in Zeiten
der Globalisierung die Stirn bieten. Seit 1999 können Kleinstädte die
Auszeichnung erwerben. Das bayerische Hersbruck war die erste Slow City
außerhalb Italiens, wo die Idee geboren wurde.
Ottmar Fischer, Streuobstinitiative:
Die großen Mengen, die werden zu Apfelsaft gepresst, und der findet
auch gut Absatz. (…) Und da machen wir natürlich auch ein bisschen
Publicity, was so dahintersteckt. Dass, wenn man diesen Saft kauft,
dass man damit indirekt die Obstwiesen erhält. Da wurde auch so ein
Slogan mal geprägt: "Landschaft schützen, Schluck für Schluck".
Die
Ernte ist eingebracht. Von den 160 verschiedenen Apfelsorten, die auf
der hügeligen Streuobstwiese am Ortseingang von Hersbruck wachsen,
kennt Ottmar Fischer jede einzeln: Weißer Winterglockenapfel,
königlicher Kurzstiel, Edelborstdorfer, alles klangvolle Namen.
Ottmar Fischer: Ich hoffe, dass die alle wachsen und gedeihen, dass das alles mal große Bäume werden.
Mit seinem Beruf hat die Liebe zu den Äpfeln rein gar nichts zu tun. Ottmar Fischer ist Fahrschullehrer. Beim Autofahren erzählt er seinen Schülern oft von den Bäumen auf der Wiese. Die fragen sich schon, ob sich ihr Fahrschullehrer überhaupt noch fürs Autofahren interessiert. Tut er, aber nur ein bisschen. Er freut sich auf die Rente. Bis dahin pflanzt er in seiner Freizeit neue Apfelbäume und senst die Wiesen:
Es gibt viele Leute, die laufen in Fitness-Studios. Und wir machen das manchmal etwas effektiver. Wir wetzen unsere Sense, mähen unseren Garten mit der Sense, haben Bewegung. Für mich persönlich ist das sogar Meditation, morgens die Obstwiese zu mähen, das gemähte Gras zu riechen.
Ottmar Fischer ist Mitglied der Streuobstinitiative Hersbrucker Alb. Der Verein will verhindern, dass die alten Sorten verschwinden. Er pflanzt Bäume, die erst in 30, 40 Jahren richtig viele Äpfel tragen. Ein Projekt für die Zukunft.
Hier machen wir zum Beispiel auch Obstseminare. Es können viele nicht mehr richtig die Obstbäume schneiden und pflegen. Also nicht nur einen kleinen Baumschneidekurs, sondern man muss sich richtig in den Baum hineindenken können, und da gehört ne gewisse Theorie dazu, und da machen wir ein entspanntes Wochenende und so versuchen wir, es den Leuten zu vermitteln.
Die Streuobstinitiative hat die dreieinhalb Hektar große Wiese von der Stadt gepachtet. Sie ist eines der Aushängeschilder, mit denen sich Hersbruck um den Titel Slow City beworben hat. Mit Erfolg: 2001 wurde die Kleinstadt östlich von Nürnberg in den Kreis der Slow-City-Städte aufgenommen. Ihre Wurzeln hat die Idee in der italienischen Slow-Food-Bewegung: Gutes Essen aus heimischen Zutaten, bewusst genießen mit allen Sinnen statt hektisch Hinunterschlingen, was transnationale Multis servieren. Die Slow-City-Bewegung erweiterte den Gedanken. Motto: Dem urbanen Einheitsbrei in Zeiten der Globalisierung die Stirn bieten, durch Aufwertung regionaler Produkte und durch nachhaltige Umweltpolitik. Seit 1999 können Kleinstädte die Auszeichnung erwerben. Dann dürfen sie das Slow-City-Logo benutzen: eine orangefarbene Schnecke, die eine Stadt auf ihrem Rücken spazieren trägt.
Im Gasthof "Grüner Baum" wird an- und umgebaut. Der Gasthof in Hersbruck-Kühnhofen bekommt einen Seminarraum, ein Aussichtsrestaurant und mehr Gästezimmer. Im Speisesaal war Hersbruck feierlich zur Slow City ernannt worden. Eine Abordnung der Slow-City-Vereinigung war extra aus Italien angereist und überreichte die Urkunde. Der "Grüne Baum" ist bekannt für seine gute Küche. Gebratene Hirschleber mit roten Zwiebeln oder zartes Wildschweinschnitzel überbacken mit Ziegenkäse und Tomatenmosaik: Michael Walter, einer der Köche, nennt solche Gerichte "Heimat auf'm Teller". Die Zutaten dafür kommen von Bauern und Jägern aus der Region.
Michael Walter: Da weiß man, dass es frisch ist. Es wird eigentlich am Tag, was geschossen wird, wird's ausgezogen und ausbluten lassen und dann wird's nochmal ein, zwei Tage hängen lassen, dass das Fleisch bissle entspannt. Und dann kommt's sofort zu uns und dann wird's auch sofort verarbeitet - dann wird eingefroren oder dann halt gleich verarbeitet.
"Heimat auf'm Teller": Dahinter steht ein Verein aus 50 Direktvermarktern und Gastwirten. Zusammengeschlossen haben sie sich, um die Regionalvermarktung anzukurbeln und damit Absatzmärkte für die Landwirtschaft zu erhalten. Die Streuobst-Initiative ist mit ihrem Apfelsaft natürlich auch dabei.
Anita Eberhard, Gasthaus "Grüner Baum": Also, die Gäste kommen aus der Umgebung zum Essen wegen "Heimat auf'm Teller", weil sie regionale Gerichte bekommen, und die Gäste kommen von weiter her zum Übernachten, weil sie gehört haben, Hersbruck ist eine Slow City, und sie möchten dann eben auch gepflegt, gemütlich, ruhig übernachten.
Anita Eberhard führt mit ihrem Mann den Gasthof "Grüner Baum". Das Prinzip Nachhaltigkeit setzen die beiden auch bei der Einrichtung der neuen Zimmer um. Das Holz für die Innenausstattung kaufen sie von Waldbauern aus der Frankenalb. Naturschützer, Handwerker und Waldbauern haben sich im Initiativkreis Holz vernetzt. Das ehrgeizige Projekt will den heimischen Rohstoff besser vermarkten und dabei das Ökosystem Wald schützen. Es darf nicht mehr abgeholzt werden als nachwächst.
Die Schreinerei "Die Möbelmacher" verarbeitet ausschließlich Holz aus der Region. Geschäftsführer Herwig Danzer ist sich sicher: Durch die Arbeit des Initiativkreises hat ein Bewusstseinswandel in der Bevölkerung eingesetzt.
Herwig Danzer: Es ist tatsächlich so, dass wenn man jetzt Menschen, die sich ein Holzhaus bauen oder irgendwas mit Holz machen, wenn die darüber diskutieren, dann fällt die Frage: Wo kommt denn dein Holz her? Das hat einfach vorher niemanden interessiert.
Herwig Danzer ist einer der Slow-City-Aktivisten im Ort. Schon bei der Bewerbung vor sechs Jahren hat er mitgearbeitet. "Slow" bedeutet für ihn Lebensqualität: Das Holz im Winter zu schlagen, weil es dann trockener und nach dem Lagern hochwertiger ist. Einen Tisch in mehreren Schichten sorgfältig zu ölen, statt giftigen Lack zu benutzen. An seinem Hemdkragen trägt Herwig Danzer eine Fliege aus Holz. Die ist nicht aus regionalem Holz. Aber sie wirkt wie ein Symbol für den Holzliebhaber und den Geschäftsführer eines erfolgreichen Unternehmens.
Herwig Danzer: Es ist nicht so, dass jetzt jemand zu uns kommt und bei uns etwas kaufen will, weil wir Anteil an der Slow City haben. Aber: Natürlich geht es ja um Image bei einem Betrieb, und ich hoffe schon, dass bei Kaufentscheidungen, die ein bisschen auf der Kippe stehen, dass dann halt diese sogenannten soft facts, einfach die Argumente, wo man sagt, ja das ist 'ne Firma, die sich auch für die Region einsetzt, dass die dann halt irgendwann mal eine Rolle spielen.
Die Frankenalbtherme in Hersbruck, 2004 eröffnet. Der Initiativkreis Holz hat für das Schwimmbad ein Biomasseheizwerk durchgesetzt. Es wird mit Dünnhölzern beheizt. Die vergammelten vorher am Waldboden. Auch Holzreste aus der Schreinerei werden verbrannt. Für Carmen Raum ist das Heizwerk Teil des Tourismuskonzepts.
Carmen Raum, Tourismuszentrale Hersbruck: Wenn sich da der Gast wohlfühlt, abschaltet nach einem stressigen Tag, dann kann er in dem Bewusstsein baden, dass die Therme eigentlich mit einer Hackschnitzelheizung beheizt wird, und diese Hackschnitzel stammen von den heimischen Wäldern und der regionale Wirtschaftskreislauf wird gefördert.
Die Touristeninformation wirbt mit der orangefarbenen Schnecke auf ihren Flyern und Broschüren.
Carmen Raum: Wir möchten ruhig sein, wir möchten gemütlich sein, Raum für Erholung schaffen. Das soll eher das "slow" - langsam - bedeuten.
Wenn Carmen Raum den Touristen erklärt, was denn nun eine Slow City ist, dann zählt sie die Orte auf, wo die Idee lebendig wird: Im Thermalbad und im Gasthof, auf der Streuobstwiese, im Hirtenmuseum, auf dem Wochenmarkt und im Stadtbus. Der fährt mit Erdgas und deshalb stinkt er nicht.
Seit 2001 modernisieren immer mehr Gasthäuser in der Umgebung. Vor allem Familien und ältere Touristen ab 50 zieht es hierher. Auch Radfahrer kommen vorbei. Dank der Pegnitz liegt Hersbruck am Fünf-Flüsse-Radweg, einem bayerischen Fernradwanderweg zwischen Regensburg und Nürnberg.
Carmen Raum: Manche Gastwirte oder Beherbergungsbetriebe teilen uns dann ab und zu schon mit, dass der Gast wegen Slow City gekommen ist, das sind dann aber auch nur teils Wochenendbesucher, die zwei, drei Übernachtungen hier in Hersbruck sind, um mal zu sehen, wie wirkt sich Slow City aus, was hat sich verändert, wie setzen wir das um. Aber man kann nicht sagen, dass es nach oben gegangen ist die Zahlen oder dass es boomt, das erwarten wir noch.
Ökologie, Erhaltung der Vielfalt in der Region und der eigenen Identität in einer globalisierten Welt: Diesen Zielen hat sich Hersbruck bei seiner Ernennung verschrieben. Zur Identität des Städtchens gehört auch seine braune Vergangenheit. Doch das Prädikat Slow City schützt nicht immer vor gedankenlosen Entscheidungen. Das neue Thermalbad steht zu einem Drittel auf dem Gelände eines ehemaligen Konzentrationslagers - dem drittgrößten KZ in Bayern. 4000 Menschen haben sich hier zu Tode gearbeitet. Eine nennenswerte Diskussion über diesen Standort gab es nicht. Das ärgert Peter Schön von der Dokumentationsstätte Konzentrationslager Hersbruck:
Mit der Rückbesinnung auf die Vergangenheit, da hapert's ein bisschen. Leider ist es in Hersbruck halt so, dass etwa die Hälfte der Bevölkerung diese Schlussstrichmentalität hat: Ach, lasst uns doch in Ruh' mit diesen alten Geschichten, ich bin doch da gar nimmer geboren, ich kann doch da gar nichts dafür, und eine Schuld hab' ich schon erst recht nicht. Also Schluss damit, hört auf! Das ist die Grundhaltung der Hälfte der Bevölkerung.
Peter Schön hält das mit der Slow City für einen Werbegag. Aber es freut ihn, dass Gäste in die Stadt kommen. Im Gegensatz zu vielen Alteingesessen in Hersbruck interessieren sich die Touristen und Zugezogenen für das, was früher war.
Peter Schön: Die sind der Meinung, dass die Pflege der Geschichte wichtig ist, dass man die jüngste Vergangenheit braucht, um die Gegenwart zu verstehen und auch zu wissen, wo's in der Zukunft hingeht.
Das sieht auch Bürgermeister Wolfgang Plattmeier so: Wenn ich durch eine Stadt dieser Art gehe, und ich geh da durch 20 Jahre lang, 30 Jahre lang, und es verändert sich nichts oder nicht viel, weil sie eben alt ist, dann nehm' ich sie nicht mehr wahr. Also, in einem Betrieb würde man sagen, man wird betriebsblind. Wenn Sie dort irgendwo was Neues hinstellen, ganz gleich, was es ist, dann ist das ein neuer Blickpunkt, und Sie sehen das und Sie sagen, oh, da hat sich was verändert. Das Sich-Auseinandersetzen ist etwas, was Sie aus dem Alltagsdenken herausreißt, und das ist das, was Wohlbefinden auslöst.
Wolfgang Plattmeier ist Sozialdemokrat. 35 Jahre lang macht er schon Lokalpolitik, seit über 21 Jahren als Bürgermeister in einem CSU-dominierten Stadtrat. Den musste Plattmeier erst einmal von der Slow-City-Idee überzeugen. Aber als Edmund Stoiber im Jahr der Ernennung extra nach Hersbruck kam, wich die anfängliche Skepsis.
Plattmeier: Das war ein Mords-Ballihu, da laufen doch sowieso alle durch die Gegend, wenn der kommt.
Bürgermeister Plattmeier tut einiges, um das Projekt bekannter zu machen, nicht nur in Hersbruck. Mit seinen Vorträgen gibt er Frontalunterricht. Denn als Slow-City-Vorsitzender in Deutschland ist es seine Aufgabe, auch bundesweit für die Idee zu werben.
Plattmeier: Die demographische Entwicklung zeigt uns, dass wir vermutlich im ländlichen Raum immer mehr Menschen verlieren werden. Aber es ist ganz vernünftig, den kleinen Orten eine Stärke zu geben, eine Chance zu geben, Bedeutung zu haben und die Menschen anzuziehen.
Hersbruck war die erste Slow City außerhalb Italiens. Mit der Schnecke schmücken sich mittlerweile Kleinstädte in Großbritannien und Norwegen, in Österreich, Polen, Portugal, Spanien, Neuseeland und sogar in Australien. In Deutschland gibt es bereits sechs Slow Citys. 20 sollen es einmal werden. Die jüngste wurde erst vor kurzem ernannt: Mahrin in Mecklenburg-Vorpommern, der vorläufig einzige Ort in Ostdeutschland. Mit seinen 250 Einwohnern stünde Mahrin eigentlich eher der Titel Slow Village gut zu Gesicht. Aber so pingelig ist man bei der Slow-City-Vereinigung nicht.
Plattmeier: Die Bürgermeister, die ich kennengelernt hab da oben, die sorgen dafür, dass die Dorfgemeinschaft zusammenhält, das bringens doch in Berlin net her. Da schaut doch der Nachbar den Nachbarn net an. In Nürnberg geht's scho los. Da sterben die älteren Damen und Herren, sterben im Hochhaus und liegen dann fünf Wochen rum, bis vertrocknet sind. Bis jemand merkt. Das passiert in Hersbruck nicht.
Doch auch hier ist die Zeit nicht stehen geblieben. Wie andernorts auch werden Arbeitsplätze in Billiglohnländer ausgelagert. Der letzte Bäcker, der noch selbst Brot gebacken hat, musste im Juli schließen.
Plattmeier: Wenn dann jemand sagt, das ist eine Sauerei, dass wir in Hersbruck keinen eigenständigen Bäcker mehr haben, da ist die Stadt Schuld, dann hat er die Zuständigkeiten verwechselt.
Zuständig ist die Stadt auch nicht für die Jugendlichen, die gern einen "Mc Donald's" in Hersbruck hätten. Sie fahren nach Nürnberg und kaufen sich dort ihren Burger. Die Idee der Slow City geht an den jungen Leuten im Ort vorbei. Auch viele Ältere wissen nicht, was sich hinter dem englischen Begriff verbirgt. Bürgermeister Plattmeier trägt nicht immer zum besseren Verständnis bei. Er kombiniert das italienische Wort "citta" - für Stadt - mit dem englischen "slow" zu einem Kunstwort: Cittaslow. Auf das Verständnis käme es nicht vorrangig an, sagt er. Entscheidend seien die Empfindungen:
Wenn Sie sagen, wie viele Leute in Hersbruck können Ihnen ein Interview geben und Ihnen erklären, was Cittaslow heißt, dann wird das sicher eine deutlich geringere Zahl sein, als die, die Cittaslow empfinden. Ich glaub Cittaslow empfinden, da bin ich jetzt bei 70, 80 Prozent. Ob die wollen oder nicht, sie empfinden's.
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