Zugegeben, spät entdeckt, das Buch ist nicht neu. Volkmar Lübke hat es mir beim Multistakeholderforum des Rates für nachhaltige Entwicklung empfohlen (da muss ich morgen Nacht wieder zur 7. Jahreskonferenz hinfahren). Ist ziemlich seltsam, aber erst an diesem Sonntag konnte ich das Buch dann lesen, seit Mitte September hatten wir auch an den Sonntagen ständig Veranstaltungen und der Kalender musste auch irgendwann geschrieben werden). "Wir nennen es Arbeit" ist die Darstellung aktueller Lebensbeispiele der digitalen Bohème, die sich jenseits der Festanstellung auch in Cafe´s aber hauptsächlich im Internet abspielen. Das Buch schreibt locker über eine neue Generation von Selbstständigen ("im Hier und Netz"), zu denen ich mich selbst als Blogger manchmal zugehörig fühle, auch wenn ich nicht zuletzt durch unsere Kreditgeber eher in einer Festanstellung stecke. Trotzdem kann ich die Abneigung gegen den Ausdruck der Kalenderwoche statt eines konkreten Datums nachvollziehen (muss unsere Sekretärin Nina mal drauf ansprechen, aber ich glaube, sie übersetzt die KW-Termine schon automatisch in Kundensprache). Andererseits bin ich ein echter Feind der verlängerten Landenöffnungszeiten, die Bohèmes sind ja Freiberufler, die gefälligst einkaufen sollen, wenn´s was gibt und für die paar Spät- oder Sonntags-shopper-dödeln nicht den Abend und Feiertag der Verkäufer (und den eigenen) opfern.
"Und ist es auch Bullshit - so hat es doch Methode"
Überhaupt entdeckt man bei der Lektüre sehr gut seine eigenen Postion in dem Spiel um Internet, Blogs, Second Life, Google und You Tube, oder kann sich zumindest einordnen. Während wir Möbelmacher uns in Blogs halbwegs heimisch fühlen, ist die Spielwelt für uns völlig neu (weil ich den Termin des Nextpertmeetings in München zum Thema nicht wahrnehmen konnte). Wenn man dann liest, dass bei Second Life dem "Wohnen ein besonderer Stellenwert" zukommt, ärgert man sich über den versäumten Termin. Vielleicht könnte es ja Allianzen geben, die das Know How der Möbelmacher der Einzelanfertigung im Einrichtungsbereich auch im "Spiel" vernünftig kommunizieren könnten?
Viel interessanter wird es für uns dann im Kapitel über "die parallele Gesellschaft."
Die Autoren zitieren den Verdacht von Holert und Terkessidis, "dass die Individualsierung ihren Namen nicht verdient, solange sie sich nur über Industrieprodukte und Konsum artikuliert." Und wenige Zeilen später entdecken wir eine neue Formulierung für unsere Arbeit: wir müssen "identitäststiftende Konsumgüter zur Verfügung stellen," weil nur bei uns der gemeinsame Entwurf mit den Kunden und die anschließende Fertigung mit der Stückzahl 1 die Forderungen der Individualisierung ganzheitlich umsetzen kann. "Die Beteiligung des Konsumenten an Design und Funktionalitäten eines Produkts " wird wohl nicht oft so konsequent umgesetzt, wie in Unterkrumbach, leider ist der Wert dieses Prozesses unseren Kunden erst nach der Verwirklichung des Auftrages bewusst.Im Vorfeld lässt sich dieser Mehrwert leider nicht glaubwürdig formulieren. Und als "Prosumenten" (Mischung aus Produ- und Konsument) sollten wir unsere Partner dann vielleicht auch nicht bezeichnen, auch wenn der Begriff bei uns durchaus Sinn machen würde.
Im Buch geht es um Stadtplanung (nicht zuletzt interessant für eine Slow City Hersbruck), um Bürgergeld um Solidargemeinschaften und um den "Schwarm," der nur ganz am Rande mit dem von Frank Schätzing zu tun hat.
"Das Wechselspiel aus Technologie, Stadtentwicklung, Kultur, sozialem Wandel und Politik wird Lebens- und Arbeitsformen ermöglichen und hervorbringen, die uns heute noch utopisch erscheinen. Die digitale Bòheme ist auf diesem Weg schon mal ein Stück vorgegangen, testet aus, was geht und was nicht. Ihre Subversion der Arbeitswelt ist keine destruktive, sondern eine konstruktive, indem sie die Attraktivität ihres Lebensmodells täglich neu unter Beweis stellt.
Kaufen Sie das Buch nicht bei Amazon, sondern bei Ihrem Buchhändler vor Ort, vielleicht richtet der dann auch mal ein Cafe´ mit W-LAN für die Notbookschlepper ein, denn auch wir nennen das Arbeit.
Nachtrag: Als Referent war ich bei einer Veranstaltung über Corporate Social Responsibility der Friedrich Ebert Stiftung eingeladen, die Thomas Ramge von brandeins moderierte, der gerade mit Holm Friebe an einem neuen Buch schreibt. Auch das wird bestimmt lesenswert für Netzjunkies.
Das Buch hängt auch bei mir schon ewig in der Warteschleife. Dummerweise lesen sich Bücher nicht von selbst und auch ich muss manchmal arbeiten. Auch ohne Festanstellung!
Vielleicht sollte ich es mir doch langsam besorgen - beim Buchhandel um die Ecke natürlich.
Gerhard Zirkel
*Der mittlerweile schon den zweiten Blog betreibt*
Kommentiert von: Gerhard Zirkel | 26. November 07 um 13:18