von Anselm Stieber
Das Jahr 1971, genauer der 12. Dezember dieses Jahres markiert in der kulturellen Entwicklung unseres Landes einen Knick, eine deutliche und daher bemerkenswerte Zäsur. An diesem Tag eröffnete in Deutschland das erste Restaurant der amerikanischen Fast-Food-Kette McDonalds. Die Idee, dass das, was uns im wahrsten Sinne des Wortes am Leben erhält, das Essen nämlich, wie ein Produktionsvorgang rationalisiert, vereinfacht, beschleunigt und verbilligt werden kann, war Wirklichkeit geworden. Auf breiter Front begann sich die Vorstellung durchzusetzen, dass es verlorene, ja vergeudete Zeit ist, sich mit Nahrungsmitteln, ihrer Qualität und Herkunft oder gar den Raffinessen ihrer Zubereitung zu beschäftigen. Zwei Zahlen belegen den Erfolg dieser Idee. 1989 übersprang der Umsatz von McDonald Deutschland die Milliardengrenze und 1999 wurde das 1000 Restaurant dieser Kette eröffnet.
Offensichtlich eine Erfolgsstory, die sich auf vielfältige
Weise fortgesetzt hat. Von ihr profitiert heute ein Großteil der Industrie, die
um die Ernährung der Bevölkerung besorgt ist. Doch mittlerweile fragen sich manche,
wer denn dabei nachhaltig gewonnen hat, außer natürlich McDonalds & Co.,
und wer vielleicht draufzahlt, wer der Verlierer
dieser Entwicklung ist.
Man muss nicht die Menüvorschläge der Köche Ludwigs XIV studieren, um zu verstehen, dass es eine Esskultur gibt, und dass, wer wirklich gut leben will, einfach Zeit haben muss, eben "ZEIT zu leben". Dabei geht es nicht um den schmalen Mittelweg zwischen gierigem Schlingen und asketischem Fasten. Es geht um Verfeinerung, um Kennerschaft und Unterscheidungsvermögen, also um Kultur. Und das ist im Eiltempo nicht zu haben. Etwas überspitzt kann man sagen, dass der eigentliche Luxus von Kultur, also auch der Esskultur, das Zeithaben ist.
Was hier der Einfachheit halber auf die Geschäftsidee von McDonalds verengt wird, ist auf breiter Front ein fundamentaler und erfolgreicher Angriff auf einen zentralen Teil der abendländischen Kultur. Um die Frage nach den Verlierern wieder aufzugreifen: die vermeintliche Verbilligung und Beschleunigung bedeuten de facto einen Verlust an Lebensqualität. Der Niveauverlust ist doppelt, wir gewinnen nicht einmal Zeit.
Es ist kein Zufall, dass in einem Land, das sich seiner schmackhaften und gesunden Küche wegen schon immer großer Wertschätzung erfreute, das alte Kulturland Italien also, dass sich dort Widerstand regte und zu organisieren begann. Dem Fast-Food-Gedanken der grell designten, industrialisierten Popkultur der neuen Ernährung, die sich zwanglos in die endlose Reihe der anderen seichten Unterhaltungsangebote der Spaßgesellschaft einfügt, wurde die Idee des „slow“-Food entgegengesetzt. Das war 1991 in Orvieto. Zugegeben, der Begriff klingt nicht originell. Es bedeutet der Wandel von „schnell“ zu „langsam“ beim oberflächlichen Betrachten noch kein qualitativer Sprung. Auch verwenden wir in beiden Fällen Amerikanismen, die nicht so recht zu unserem Kulturverständnis passen wollen. Doch warum nicht den Gegner auch in diesem Fall mit den eigenen Waffen schlagen? Dass hier die Frage der Qualität im Vordergrund steht, und zwar als Lebensqualität, zeigt sich spätestens in der Erweiterung des Gedankens, kleine Städte in das Konzept einzubeziehen. Das war 1999. Unter dem Label der Schnecke hatten damals engagierte Bürgermeister einiger italienischer Städte, in denen der Gedanke des „Slow-Food“ Fuß gefasst hatte, das Konzept „Slow“ erweitert und die „Città Slow“ oder „Cittaslow“ ins Leben gerufen.
Keine Frage, hier geht es um mehr. Essen und Ernährung ist ein wichtiger Teil des Konzepts, die Stoßrichtung ist aber breiter. Sie erweitert sich zum neuen Lebensentwurf, der nicht nur Lebensqualität zurückgibt, sondern neue Chancen bietet. Seit 2001 gehört Hersbruck dem Kreis dieser zukunftsorientierten Städte an. Ein Grund, sich etwas eingehender mit dem Thema zu befassen.
Was heißt „Slow“
Wer Presseberichte zum Thema „Cittaslow“ liest, könnte den Eindruck gewinnen, die Bürger deiner „Cittaslow“ seien eher Schlafmützen und Langweiler. Oder doch jedenfalls rückwärtsgewandte Menschen, von dem Gedanken beseelt, etwas restaurieren zu wollen, was längst der Vergangenheit angehört. Das Gegenteil ist der Fall. Wie aktuell „slow“ ist, zeigen zwei Erlebnisse der letzten Tage. Der Gewährsmann ist mit einer Gruppe junger Leute am Norissteig unterwegs und sie fallen hungrig in ein Dorfgasthaus ein, um sich zu stärken. Was wird bestellt? Pommes mit Majo (näse) ! Das zweite Erlebnis : Er wandert und will sich bei einem Jogger mitten im Wald nach dem Weg erkundigen und spricht ihn an. Der läuft weiter. Merkt aber doch etwas, bleibt stehen, kehrt um und zieht sich die Stöpsel seines Walkman aus den Ohren.
Wer aufmerksam durch den Tag geht, erlebt solche grotesken Situationen selbst, nur – fallen sie uns noch auf? Merken wir, dass wir nicht danach fragen, was die ländliche Küche Typisches bietet und gedankenlos Industrieprodukte ordern, um unseren Hunger zu stillen? Oder im Wald lieber Musik-Konserven hören, und nicht auf die Umgebung achten? Unbeeindruckt von der Wirklichkeit sind wir längst die Sklaven der Mediokratie, deren künstliche Bilder die Ordnungsfunktion des Geistes übernommen haben (Chr. Schüle). Wir sind eine Multioptionsgesellschaft, die für nichts mehr Zeit hat und möglichst alles gleichzeitig erleben will, die nicht erkennt, dass die unablässige Wahl zwischen den trivialen Angeboten der einschlägigen Branchen nicht Freiheit, sondern Unfreiheit bedeutet. Unsere Bedürfnisse müssen heute durch Impulse von außen stimuliert werden. Die Impulstaktung ist so kurz, dass Chr. Schüle wohl zu recht von einer zwangsneurotischen Epoche spricht.
Wir sind Hochgeschwindigkeitsmenschen geworden. Wir kommunizieren mit Lichtgeschwindigkeit, hetzen durch den Alltag und sprechen in amerikanischen Kürzeln. Menschen und Dinge um uns haben keine Chance mehr wahrgenommen zu werden. Dabei haben wir die Fähigkeit verloren, zwischen Qualität und Quantität zu unterscheiden. Denken wir uns die Zeit doch mal als Tüte, dann lassen sich darin viele gleiche Erbsen unterbringen, aber vielleicht auch zwei interessante Bücher, oder zwei Flaschen guter Wein. Was ist uns lieber? Und uns ist das rechte Augenmaß abhanden gekommen. Auch Tempo ist keine Qualität. Jeder nachdenkliche Mensch kann selbst zu der Einsicht kommen, dass hohe Geschwindigkeit und vor allem bedenkenlose Beschleunigung nichts anderes sind, als Verschwendung, seien es Ressourcen, Lebensqualität oder Gesundheit. Dabei ist es gleichgültig, was wir beschleunigen – die Bildung ausgenommen.
Was also ist „Slow“? Die Kampfansage an die Ökonomisierung
des Innenlebens. Innehalten und sich in etwas vertiefen. Das Aufbauen eines Netzwerks der Niveaus.
Zeit zu leben. Der Weg aus der Sackgasse. Oder: die Entscheidung für das Gediegene,
das Gesunde. „Fast“ ist krank. „Slow“ ist cool, weil es Zukunft hat.
Früher war Hast verpönt. Das Vornehme entfaltete sich langsam. Reich war, wer Zeit hatte. Dazu eine Anmerkung: für viele Kulturbetrachter ist die sog. Zeitpräferenz zum Schlüsselbegriff geworden. Was heißt das? Wer Zeit hat, den zeichnet eine geringe Zeitpräferenz aus. Wer möglichst alles und das gleich haben will, der hat eine hohe Zeitpräferenz. Weder der Kölner Dom, noch das Wohltemperierte Klavier, noch Goethes Faust wären bei hoher Zeitpräferenz entstanden. Sie ist ein Zeichen geringen kulturellen Niveaus.
Sich Zeit lassen, auf Zusammenhänge achten, warten können, einem Ereignis „entgegen warten“, also Gegenwart haben, das scheint eher sinnstiftend zu wirken, als permanent auf bunte Knöpfe zu drücken. Dazu gehören auch e-Mails, SMS, Dates, Daily Soaps usw. Wir müssen unsere Zeiträume neu möblieren.
- 3 -
Wie wird man „Slow“
Der Held in Bulwer-Lyttons Roman „Pelham“ trägt immer ein besonders kleines Essbesteck bei sich. Das Essen mit normalen Löffeln und Gabeln bei Einladungen oder im Restaurant würde seine Genussfähigkeit mindern. Wenn auch amerikanische Wissenschaftler herausgefunden haben, dass schnelles und achtloses Essen das Geschmacksempfinden tatsächlich reduziert, brauchen wir uns die Romanfigur nicht, oder nur ansatzweise zum Vorbild machen.
Dennoch, in unserer turbo-kapitalistisch beschleunigten und daher an echten Emotionen und wahren Genüssen verarmten Welt stellt sich uns konkret die Frage, was kann eine Kommune, was können Bürger praktisch tun, um „slow“ zu leben. Was gibt es für Ansatzpunkte, um in der Kunst, Zeit zum Leben zu gewinnen, gemeinsam Fortschritte zu machen. Die Ernennung zur „Cittaslow“ ist ja nicht eine Urkunde, die in den Archiven des Rathauses abgelegt wird und verstaubt. „Cittaslow“ ist ein Auftrag an alle. „Cittaslow“ wäre ein interessanter Faktor im Stadtmarketing. Mit „slow“ gewinnen wir Freunde.
Kommunizieren: Wir sind alle Neulinge auf dem weiten Feld des „slow“. Wir müssen uns über das, was wir über „Slow“ denken und erfahren zuerst einmal austauschen. Beginnend im privaten Kreis natürlich. Dann aber auch in größerem Rahmen, auf Einladung der Presse etwa, oder mit interessierten Stadträten. Auch Leserbriefe tragen zur Diskussion bei. Vielleicht gründen sich zum Thema „slow“ der eine oder andere Stammtisch. Es geht ja alle an. Themen gäbe es viele: was heißt „nachhaltig“, welche regionalen Kräfte lassen sich mobilisieren, um dem globalen Sog zu begegnen, in welcher Form kann ich mich in die Gemeinde einbringen, wie kommen wir zu Erneuerbarkeiten, zu Kreisläufen, wie vermeiden wir Zentralisation und damit Abhängigkeit wie etwa beim Wasser, was alles gehört zur Lebensqualität, welche Aspekte hat der Begriff „Zeit“, in welchem Zusammenhang stehen Zeit und Genießen, kann ich mich wenigstens in einigen Bereichen vom Tempo und der Hektik befreien und mich wieder mit der natürlichen Umwelt synchronisieren,? u.s.w. Das alles wären Aspekte von „slow“.
Bestehendes stärken: Gastfreundschaft ist „slow“, Musik ist „slow“. Was für manche eine Randerscheinung sein mag, wirbt international für Hersbruck, das Gitarrenfestival zum Beispiel. Damit kann eine neue Tradition begründet werden neben den alten, wie Kirchweih oder Altstadtfest. Also: die heimische musikalische Szene unterstützen. Heimische Produkte kaufen. Natürliche Kreisläufe beachten. Heimische Küche pflegen und sie sinnvoll weiterentwickeln. Mal in die Therme gehen, Veranstaltungen, wie etwa die Werkstatttage der Möbelmacher in Unterkrumbach besuchen. Leben ist nicht das, was wir uns für den Urlaub im Sommer vornehmen.
Organisieren: Die Statuten einer „Cittaslow“ sehen die Gründung eines Ausschusses oder Komitees vor. Eine Verankerung des „slow“-Gedankens im Stadtrat wäre von Vorteil und brächte der Initiative mehr Gewicht. Grundsätzlich sollte die Bewegung eine breite, unpolitische Bürgerinitiative sein. So wäre die Gründung eines Bürgerkomitees ein Akt, der eine Bündelung der Ideen erlaubt und eine Organisation einzelner Maßnahmen möglich macht. Eine wertvolle Hilfe, den „slow“-Gedanken zu vertiefen, könnten die Schulen leisten.
„Slow“ richtig verstanden ist kein kurzlebiger Marketing Gag einer Stadt. „Slow“ ist eine Gegenbewegung gegen das uns alle in die Sackgasse führende „Fast“. Sie beruht auf der Erkenntnis, dass schneller nicht besser ist. Bürger von „Slow-Cities“ sind offen für die Einsicht, dass kritikloses Nachmachen und gedankenloses Weiter-so out sind, weil damit keine gesunde Zukunft zu gewinnen ist.
Artikel zur Lesung mit Chrisitan Schüle am Freitag, 17.8.07 von Gerda Münzenberg
"Wie die Idee zur Lesung entstand" von herwig Danzer
Alle Artikel zu den Werkstatt-Tagen 07 unter "ZEIT zu leben"
Alles über die WErkstatt-Tage auf der Möbelmacherhomepage
Sonderseite Slow Food
Sonderseite Slow City
Letzte Kommentare