Wie zum Geier kommt eine Dorfschreinerei mit siebzehn Hanselen zu einer Einladung zum "Workshop „Initiative zeigen – nachhaltig handeln“ der VERBRAUCHER INITIATIVE, bei dem rund 50 Fachleute aus Handelsunternehmen, Marketing, Umwelt- und Verbraucherschutz praxisorientierte Strategien für eine optimierte Vermarktung nachhaltiger Produkte anhand von Best-Practice-Beispielen diskutieren werden?" Dass die Veranstaltung hochinteressant war, erkenne ich unschwer an meinem bisher unerreichten "Mitschreibrekord" von 10 Seiten, wer die nicht hat, kann sich trotzdem alle Vorträge als pdf-Datei ansehen.
Anwesend waren Ikea, Quelle, Otto, Tschibo, Kraft Foods, Sinus, Fairtrade, TÜV, der Verlag Natur und Umwelt, die Naturfreunde (da haben wir seinerzeit als Kajaklehrer mit der Naturfreundejugend den Begriff des "sanften Tourismus" mitgeprägt), der Nachhaltigkeitsrat, ein Haufen Ministerialjungs und -Mädels, natürlich das Bundesumweltamt, Pro-Oeko, Karstadt und die Telekom und die Möbelmacher.
Objektiv betrachtet muss man uns ob der Umsatzzahlen eher als kritischen Beobachter (Spion?), denn als Teilnehmer auf gleicher Ebene betrachten, denn wir kaufen zwar Unmengen von fair gehandeltem Kaffee, aber wenn Tschibo vom 200 000 Tonnen Gesamtumsatz nur 6% in Richtung "Fair" bringt, ist das deutlich mehr, als unser Miele Vollautomat selbst im Dauerbetrieb schaffen würde. Und diese Erkenntnis ist ja nicht ohne: Eine ökologische Mini-Maßnahme von Ikea oder Tschibo bringt unserem Globus realistischerweise mehr, als unser gesamtökologisches Unterfangen seit 18 Jahren. Ernüchternd, aber wahr. Deswegen sind Veranstaltungen wie diese, bei denen sich Konkurrenten (nicht wir zu Ikea, sondern Karstadt zu Otto, oder wir alle zu Tschibo) erstaunlich ehrlich austauschen, eine echte Bereicherung der Nachhaltigkeitsdiskussion.
Organisations-Dream-Tam war stets korrekt Ralf Schmidt Pleschka, phantasievoll moderierend Volkmar Lübke und als alles organisierende und sympathisch referierende Stephanie Schmidl.
Für das Bundesumwelt- Ministerium eröffnete Dr. Ulf Jaeckel die Veranstaltung, an seiner Handbewegung kann man deutlich sehen, wie schwierig das Thema Nachhaltigkeit zu kommunizieren ist. Die Diskussionsbeiträge der Vertreterin des Nachhaltigkeitsrates Yvonne Scherer legten außerdem die Vermutung nahe, dass bei der Regierung wie so oft der Kommunikation deutlich mehr Wert beigemessen wird, als dem echten Handeln.
Thomas Perry von Sinus brachte mit seinen Daten aus einer Sinus-Studio zu Biolebensmitteln viele Erkenntnisse ein, die wir echten Ökos eigentlich nicht wahrhaben wollen. Die reine Nachhaltigkeits- Argumentation ist nahezu überflüssig, sie geht unter. Nachhaltigkeit muss als persönlicher(!) Mehrwert kommuniziert werden, es muss sich (nicht nur in Geld) "rechnen" und eine positive Kosten-Nutzen-Relation bekommen.. Die Verwendung des Begriffes Nachhaltigkeit durch jeden Milchschnittepoduzenten oder Dorfpolitiker hat den Begriff "bagatellisiert" (was für ein schönes Wort!).
Für die Übertragung in den Non-Food Bereich erklärte Perry: "Nur Öko reicht bei Weitem als Kaufargument nicht aus. Nachhaltigkeit muss "erlebbar" sein. Die Lebensdauer muss den Preis argumentieren.
Der erhobene Zeigefinger und das Spiel mit der Angst ist kontraproduktiv, es geht vor allem um Glaubwürdigkeit. In unserem Gespräch ´ne halbe Stunde vorher wusste ich noch nicht, dass er der Sinus-Fachmann für genau diese Zusammenhänge ist und er beglückwünschte uns, dass wir in unserer Kommunikation wie zum Beispiel dem Kalender den Begriff "Öko" kaum verwenden. Und unser Nachhaltigkeitsweblog ist ja weniger Neukundenaquise, als eine Diskussionsplattform für unsere Denkweise. Trotzdem ist es schon ernüchternd, wenn man von fast allen Referenten erfährt, dass man sich rein statistisch mit der Kommunikation ökologischer Zusammenhänge eher schadet als nützt, weil man das ungetrübte Einkaufserlebnis stört. Am liebsten wäre den Kunden ein halbwegs vertrauenswürdiges Schild am Eingang, dass er sich während des Einkaufs sicher fühlt, keine Fehler zu machen und trotzdem nicht an Öko, Bio und Soziales denken muss. Naja, in unserer Ausstellung ist es ja tatsächlich so, vielleicht doch gut, dass nicht an jedem Produkt eine aufwändige Erklärung der ökologischen Vorteile hängt.
Ralf Schmidt-Pleschka von der Verbraucher-Initiative (kenne ich aus unserer gemeinsamen Arbeit für die Uni Lüneburg bei Ikea) hat aber zusammen mit allen anderen Anwesenden ja eigentlich den gegenteiligen Wunsch. Wir wollen Nachhaltigkeit ja kommunizieren um uns vom Wettbewerb abzuheben und Argumente für unsere aufwändigen Produkte zu liefern. So möchte sich zum Beispiel Otto vor allem von Ebay und Amazon abgrenzen. Ein Leitsystem für den nachhaltigen Konsum im Non-Food Bereich entsteht, an dem die Verbraucherinitiative zusammen mit dem BMU (Bundesministerium Umwelt ...) und dem Umweltbundesamt arbeitet. Und zwar aus der Motivation heraus, dass man die Gegenargumente der Verbraucher untersucht hat:
- Nachhaltiger Konsum nutzt nix
- ist zu teuer
- es gibt nix vernünftiges
- ich finde die Angebote nicht
- ich glaube das alles nicht (Labelflut)
Verständlicherweise sucht die Verbraucherinitiative nicht so verzweifelt wie die Marketingleute nach Alternativen zum Unwort Nachhaltigkeit, sie wollen es einfach nur positiv besetzen und die Erfahrungen aller beteiligten Händler, Hersteller und Gruppen (nicht zuletzt in diesem Workshop) zusammenführen.
Auch Stefanie Schmidl von der Verbraucherinitiative bot mit Ihrer Vorstellung der Ergebnisse der Unternehmensbefragung viel diskussionswürdiges Material. Die Fallzahl war natürlich nicht sehr hoch, aber in der Untersuchung stecken teilweise gut versteckt trotzdem viele Erkenntnisse, die man für die Nachhaltigkeits- Kommunikation durchaus nutzen sollte. Fazit (die ganze Untersuchung wie alle Referate sind nachlesbar):
"Künftige Fortschritte bei der Förderung nachhaltiger Produkte im Non Food Bereich werden im Wesentlichen von einem erhöhten Umweltbewusstsein bei Verbrauchern sowie einer besseren Vernetzung der Akteure abhängig sein. Die Unternehmen räumen aber auch ein, dass das Umweltbewusstsein in den Firmen weiter verankert und die Marketingmaßnahmen verstärkt werden sollten."
Gerd Billen vom Otto Versand hat schon die Erfahrung seiner Marktforscher, dass Öko-Labels abschrecken (aber Peter Maffei ein Zugpferd ist) und dass soziale Verantwortung im Ausland nicht kommunizierbar ist, da kommt sogar das Sammeln von Altpapier beim Kunden noch besser an. Es wäre hilfreicher, den Kunden nach dem Kauf die Informationen zu geben, was er da wieder tolles gekauft hat, als ihm im Vorfeld das schöne Kauferlebnis durch Problemdiskussionen zu vermiesen. Die Nachhaltigkeitsargumentation von Otto hat die Überschrift: "Saison des guten Gefühls." Marketingtechnisch argumentierbar, auch wenn sich mir die Zehennägel aufbiegen.
Alles, was wir schaffen können (und müssen) ist die Glaubwürdigkeit zu erhöhen. Dass das großen Unternehmen bekanntlich deutlich schwerer fällt, als ner Dorfschreinerei könnte natürlich auch an den Produkten liegen, die nur bedingt in diese Kategorien passen und das sind ja immerhin noch die meisten.
Natürlich springt auch Tschibo auf den Nachhaltigkeitszug auf, bis sie tatsächlich 6 Prozent ihres Kaffees aus richtig(!) fairem Handeln beziehen, wird wohl noch einiges an Zeit an vergehen, aber immerhin besser sie tun es, als sie tun es nicht. Ob die Motivation der Marktanteil ist, oder tatsächlich edle Motive (gibt´s die überhaupt noch irgendwo?) dahinterstehen, ist für die Bauern nicht so entscheidend.
Richtig spannend war der Vortrag von Mareke Wieben (Ikea), weil mich ihr ehrliches Engagement schon bei dem Praktikum der Studenten der Uni Lüneburg beeindruckte. Die offene Kommunikation ihrer Marktforschungsergebnisse war vor allem deshalb interessant, weil auch sie erleben musste, dass Infotafeln im Kaufhaus und Infokästen im Katalog nicht wahrgenommen werden. Im nächsten Katalog soll deswegen auf einer Doppelseite Nachhaltigkeit kommuniziert werden, der Moment, an dem wir das Wort wohl aus unserem Sprachgebrauch verabschiden sollten, denn wenn in jedem deutschen Haushalt Nachhaltigkeit an den Ikeakatoloig erinnert, ist das das Paradebeispiel für die von Perry formulierte "Bagatellisierung" eines Begriffes. Trotzdem ist der Gedankenaustausch mit Ikea spannend, denn wie wir verzichten sie auf Label, zum Beispiel das des FSC. Lustigerweise aus den gleichen Gründen: wir wollen unsere Marke glaubwürdig halten oder machen, ein fremdes Label kann dabei auch störend wirken. Wir freuen uns auf jeden Fall riesig auf den 27. März, denn da besuchen uns rund 50 Umweltfachleute von Ikea im Rahmen ihres Workshops in Unterkrumbach zum Gedankenaustausch.
Eine Hoffnung auf die absolute Kehrtwende formulierte Margit Mederer der Pro-Öko Servicegesellschaft ökologischer Einrichtungshäuser. Sie war uns von der Branche, den von Ihr vertretenen Betriebsgrößen und der Gesamtphilosophie am nächsten und meinte es wäre wieder an der Zeit mit Umweltargumenten zu verkaufen, weil es doch jetzt schon mehr Menschen begriffen hätten. Die Darstellung der Bildersprache des Verbandes vom Bestehen bis heute hat viele Parallelen zu unserer Kommunikation gezeigt, für unseren neuen Kalender warten wir jetzt erst mal die Ergebnisse unserer Marktforschung und die unseres Workshops ab. Auf jeden Fall werden die Produktkataloge von Pro Öko in Zukunft noch mehr Bilder und diese emotionaler zeigen.
Das waren nicht einmal alle Vorträge, es gab noch mehr, aber fast alle zeigten, dass dieser Artikel, den Sie grade lesen, schon wieder zu lang, zu kompliziert und zu abschreckend ist, um Menschen zum Kauf unserer Produkte zu bewegen. Andererseits haben wir auch anderer Kunden als Ikea oder Tschibo und wir sollten unseren eigenen Weg zur richtigen Kommunikation finden, dessen wichtigstes Kriterium für uns immernoch die Glaubwürdigkeit ist.
Die Hoffnung über die Kommentar im Nachhaltigkeits-Weblog dafür weitere Impulse zu bekommen, ist leider noch nicht ganz erfüllt, aber vielleicht wird das ja noch, wenn die Hemmschwellen des Kommentierens langsam sinken. Alles in allem war das für uns als Zaungäste hochinteressante Veranstaltung, deren in der Schlußdiskussion formuliertes Ziel einer Kommunikation
über den Klimawandel mir ausgesprochen seltsam vorkommt, so wie wenn all die Vorträge im Vorfeld nicht stattgefunden hätten. Denn was machen wir denn in ein paar Wochen, wenn sich das Presseinteresse mal wieder um 180 Grad gedreht hat? Mal sehen was rauskommt, wir werden berichten, selbst wenn wir wieder beim erhobenen Zeigefinger (von Klaus Wilmesen Karstadt) landen sollten.
Die schönste Überraschung kam zum Schluss: Nach dem Workhop habe ich mich mit der Taz-Redakteurin Edith Kresta im Taz-Cafe´getroffen und als ich grade ausholen wollte, was das grade für eine tolle Veranstaltung war, kommen die Veranstalter rein. Auf dem Weg von der Tagung bis zur Taz lagen ungefähr 496 andere Kneipen, aber wir haben uns richtig gefreut das Lob jetzt auch an den richtigen Stellen unterzubringen.
Alle 99 Fotos bei sevenload
Nachhaltigkeitsseite der Möbelmacher
Alle Labels erklärt auf Label-online.de.
Kurzdarstellung Nachhaltig Handeln als pdf
Eine Sammlung aller Blogs zum Thema Nachhaltigkeit bei Nachhaltig beobachtet
Hallo Herwig,
schöner Bericht, vielen Dank!
Ich bin nach wie vor guter Dinge, dass es möglich ist Nachhaltigkeit zu kommunizieren. Es ist zwar kein Massenthema, aber wir wollen ja auch keinen Massenkonsum, sondern eben einen mit "Köpfchen".
Beste Grüße aus Berlin ;)
Julia
Kommentiert von: Julia | 05. März 07 um 14:22
Hallo,
bin zufällig auf diese Seite gestoßen. Ich finde es richtig gut, dass das Thema Umwelt und Nachhaltigkeit immer mehr um sich greift. Sicherlich auch ein Verdienst der Diskussion um den Klimawandel.
viele Grüße
Kommentiert von: FlorianZ | 05. März 07 um 21:44