"Dieses Buch hat ein Problem. Es handelt vom Konsumverhalten der Deutschen, aber die meisten Deutschen werden es nicht wahrnehmen." Das schreibt der engagierte und mehrfach preisgekrönte Taz-Redakteur am Ende seiner 130 - seitigen Abhandlung über den Konsum, betitelt "König Kunde ruiniert sein Land." Denn sowohl Konsum als auch Kunde bewegen sich trotz aller Appelle und Skandale zu wenig in Richtung Nachhaltigkeit.
Auch unser Nachhaltigkeitsweblog versucht ja mit dem Focus auf das Genießen verbesserter Lebensqualität, die Menschheit einen kleinen Schritt in Richtung Nachhaltigkeit zu bewegen, wobei uns Pötters sorgfältig recherchiertes Buch dabei wertvolle Dienste leisten kann.
Zum
Beispiel im Kapitel Dumpinglöhne und fairer Handel der Turnschuh, welcher den
Sportler - unabhängig seiner Begabung -100 Euro kostet:
50 Euro bekommt der Einzelhandel, 32 € Gewinn die Markenfirma, 5 €
Transportkosten, 12 € Herstellungskosten, 2 € Gewinn macht die einheimische Fabrik, 2 € Produktionskosten zum
Beispiel Strom, 40 cent vom 100 €-Schuh
werden an die Näherinnen bezahlt.
Fit wie ein Turnschuh ist aber auch seine Berichterstattung über Sozialdumping in Deutschland, wo Aldi, Lidl und Schlecker (hier das Schwarzbuchweblog zum Thema http://www.verdi-blog.de/lidl/ ) mal wieder eine Führungsposition einnehmen. Aber anders als beim Turnschuh, wo die Unterstützung unserer fränkischen Global Players durchaus Sinn macht, weil diese wenigstens am erkannten Problem arbeiten, nennt er hier auch positive Beispiele wie die dm-Drogeriemärkte, Edeka, Reichelt oder Kaiser's. Und selbst bei den Discountern gibt es mit Minimal, Penny-Markt oder Plus wenigstens Betriebe, deren Umgang mit Menschen vertretbar ist.
Von der spannenden Nachhaltigkeitsgeschichte des Konsums, Verkehrs, des Tourismus, des Hausbaus und der Geldanlage leitet er über zum Kapitel "Es rettet uns kein höh'res Wesen - auf dem Weg zur nächsten Konsumrevolution." Mit ganz konkreten Forderungen an den privaten Konsumenten, an Politiker und an die Unternehmer ruft er auf zum Widerstand gegen "Geiz ist geil". Untermauert und ergänzt wird der Aufruf eindrucksvoll durch die im Interview sehr offen ausgesprochenen Erfahrungen von Renate Künast: "Es kann ja wohl nicht sein, dass wir in Deutschland viel Geld für die teuersten Küchen ausgeben, dass aber darin nicht mehr gekocht wird." (nicht, dass wir was gegen wertvolle Küchen hätten, unsere Kunden können sie auch benutzen).
Das Buch hat kein Happy End sondern eine Happy Hope: "Consumer Watch" ist die Idee für eine "unbequeme kleine Gruppe, die unser tägliches Verhalten thematisiert. ... laut, aggressiv, fröhlich und mit viel Spaß."
Lustigerweise ist das eine Gruppe, die sich perfekt der modernen Marketingwerkzeuge bedienen könnte, die in Bernd Röthlingshöfers Buch "Marketeaser" vorbildlich begründet und beschrieben werden. Und starten sollte man das ganze spätestens zur Frankfurter Nachhaltigkeitsmesse im Frühjahr 2007 (Sustainable Projekt), deren Stattfinden seit ein paar Tagen amtlich ist. Vielleicht könnte man hier ja die richtigen Leute zusammenbringen? Messeveranstalter (Andreas Pipperek - Messe Frankfurt), die interessante Aktionen brauchen können, Aktionisten (zunächst mal den Autor, später mit Mitstreitern, vielleicht in Zusammenarbeit mit der Sustainable Excellence Group, in der auch das Wuppertal Institut, Future e.V und die Deutsche Geseelschaft für Qualität vertreten ist?), die die Öffentlichkeit und alle Nachhaltigkeitsgurus brauchen können, Werbefachleute, die die Wirksamkeit Ihrer witzigen Werkzeuge der "anderen Werbung"(wie Weblogs) anhand einer ebenso anspruchsvollen wie ehrenwerten Aufgabe beweisen können.
Pötters Buch sollte Schullektüre werden, Politikern mit Lesezwang übergeben werden und an jedem Stammtisch zur thematischen Vertiefung ausliegen, an dem über Manager wie Ackermann und Co gelästert wird.
Einziger Kritikpunkt: zur Wirtschaft gibt Pötter offensichtlich nur sein Aldi et Obi, seinen Schlecker oder das "Fernziel" RTL-Nachhaltigkeits-TV. Der Mittelstand und die regionalen Aspekte von der Dorfschreinerei (!) über die Biobrauerei (Lammsbräu) bis hin zum Babykosthersteller (Claus Hipp ist ein Ökopionier, auch wenn wir ernährungstechnisch die frische Zubereitung von Babynahrung bevorzugen) fallen entweder einer Konzernneurose zum Opfer, oder werden erst im nächsten Buch behandelt? Hoffentlich schreibt er noch eines, denn dort findet er vielleicht mehr e h r l i c h i e s Engagement, als bei den "Greenwashern" der Großen ("Grennwashing" ist Nachhaltigkeitsfuzzi-Insiderslang für Grossbetriebe, die ihr grünes Mäntelchen nach den Winds of Change hängen.)
Nachtrag: ConsumerWatch muss sich vom Begriff der Nachhaltigkeit lösen. "Eine bessere Zukunft muss man sehen, riechen und schmecken können." Stattdessen schlägt er Begriffe wie "Vernunft, Verantwortung, Gerechtigkeit und Zukunft" vor. Im Nachhaltigkeitsweblog haben wir zwar noch den "falschen" Namen, aber die gleichen Ziele. "Denn letztlich ist nachhaltige Lebensführung nichts anderes als artgerechte Haltung für Menschen."(Michael Wehrspaun)
Anderes Buch mit Lesezwang für Lokalpolitiker: Hutanger
Marketeasing von Bernd Röthlingshöfer
Beitrag im Konsumblog
Gutes Interview mit Bernhard Pötter im Konsumblog, das Buch hat er sich leider bei Amazon kaufen lassen, statt im heimischen Buchhandel. Dort hätte seine Mutter vielleicht nette Leute getroffen und das Geld an die richtige Stelle getragen: dorthin wo beraten wird, gesprochen statt getippt und die regionalen Arbeits- und Ausbildungsplätze erhalten werden.
Bei euch muss alles nachhaltig sein, was ;)
Kommentiert von: Miriam | 30. März 10 um 23:47